Freitag, 12. Dezember 2008

Steht das Ende der klassischen Massenmedien kurz bevor?

Im Interview im KLARTEXT Nr.6 meint Hans-Peter Rohner, CEO der PoubliGroup/Publicitas*: „Print- und Fernsehmedien werden auch in Zukunft Massenmedien bleiben, und das ist auch nötig, denn auf dem Internet kann niemand etwas verkaufen, der nicht vorher seine Marke durch die Massenmedien bekannt gemacht hat.“

Leider muss man befürchten, dass diese Meinung blosses Wunschdenken ist. Ohne jeden Hauch von Schadenfreude werden die Verleger und Fernsehmacher so billig nicht davon kommen und leider auch nicht die betroffenen Journalisten. Es ist schon lange klar, dass gerade die Zeitungen in den letzten Jahren ihr Geschäftsmodell praktisch ausschliesslich noch auf die Stellenanzeigen aufgebaut haben. Die nun mehr ins Haus stehende Rezession mit obligatem Stellenabbau wird diesen letzten Pfeiler des Zeitungsgeschäftsmodelles wegschmelzen lassen wie die Butter an der Sonne.

Nicht nur die Verleger, auch die Fernsehgesellschaften, wurden es nicht müde, in der vergehenden Dekade ihre kreative Grundsubstanz auszuhöhlen und ihr risiko- und experimentierfreudiges Personal mit drohendem Stellenabbau einzuschüchtern und willfährige Lohnarbeiter anstelle von gestandenen Profis einzustellen. Hauptsache, die Kosten wurden parallel zu den schwindenden Auflagen und Einschaltquoten gesenkt. Was geblieben ist, nennt Nick Lüthi „Rudeljournalismus“ und was dabei herauskommt bezeichnet Beni Turnherr als „Google-Journalismus“, beide Zitate ebenfalls in derselben KLARTEXT-Ausgabe.

Es scheint mir in all den Diskussionen, die ich in den letzten Jahren mit mehr oder weniger massgeblichen Medienunternehmer geführt habe, dass die Verwalter und deren Manager wie Dinosaurier mit gefalteten Händen vor den schmelzenden Gletscher stünden und sich gegenseitig Mut machen, weil die Gletscher schmelzen und nicht wachsen und daher keine Eiszeit bevorstünde.

Was wäre denn nun zu tun im Angesicht dieser strukturellen Krise? Gibt es noch einen Ausweg? Nein, es ist passiert. Was wir zu sehen bekommen, ist das langsame Sterben einer längst vergangenen Epoche. Wenn Rohner im KLARTEXT meint, dass NZZ und TAMEDIA nach einer jahrzehntelangen Fehde jetzt zusammen arbeiten können, dann ist eigentlich alles gesagt.

Als das Internet kam, versuchten weltweit die Verleger ihr altes Geschäftsmodell ins Web zu retten. Weil es für viele zu kostspielig war ein Verrechnungssystem einzuführen, einigte man sich in stiller Übereinkunft darauf, die Webdienstleistungen gratis anzubieten. Es war der Anfang der Gratis-Zeitungen noch bevor es die gedruckte Version davon gab. Die New York Times und die Washington Post gehörten dann zu den ersten, bei denen man auch im Web ein Abo zeichnen musste. In der Schweiz zog die NZZ nach. Doch das Unheil war bereits geschehen, die Glaubwürdigkeit im neuen Medium zerstört. Davon konnten sich die traditionellen Medien nie mehr erholen.

Daneben baute sich ein völlig neuer Medienmarkt im Web auf, die mediale Proliferation setzte ein und heute haben wir einen medialen Longtail. Eine totale Vernischung der Information bis hinunter zu den mikrobischsten Partikularinteressen. Das ist die neue Medienwelt: brutal marktorientiert, bewundernswert demokratisch, grenzenlos. Wer sprachgewandt ist und zu recherchieren weiss, ist im Vorteil, lesen können alleine genügt nicht mehr.

Aus dieser einfachen Erkenntnis lässt sich ein schmaler Pfad in die Zukunft weisen. Wir brauchen statt eines ausufernden People-Journalismus mit seinem billigsten Unterhaltungswert die seriösen Hintergrundinformationen. Noch nie war es im Grunde so kostengünstig, diese auch weltweit zu beschaffen. Doch individuell gesehen ist damit viel zu opfernde Zeit verbunden, um zu verifizieren, gegen zu prüfen und sicher zu stellen.

Wer solche wertvolle Informationen will, muss sie sich wirklich „beschaffen“. Er muss jemanden beauftragen, der dies für ihn tut. Weil dies für den Normalsterblichen teuer kommt, zu teuer, muss er sich mit anderen in Interessen-Clustern zusammen schliessen und einen gemeinsamen, sich ständig neu definierenden Auftrag formulieren. Solche Cluster werden sich unter sich vernetzen und so werden relevante Informationen und Hintergründe so etwas wie massenfähig. Wer verstehen wird, solche Clusters zu bilden und zu managen, wird für die Dienstleistung ordentlich bezahlt und wird zu den neuen Medienunternehmern gehören. Die absolute Kundenorientierung und die Dienstleistungsbereitschaft sind entscheidend. Information kann nicht gratis sein, genauso wenig wie jedes andere von Menschen erschaffene Produkt. Soviel Betriebswirtschaft muss sein.

Betriebswirtschaftlich brutal wird damit auch die Tatsache, dass nun die schon lange angekündigte Zeit des papierlosen Alltages angebrochen ist. Der Bedarf an Druckerei-Infrastruktur, an Maschinen, Papier und Farben, wird unwiderruflich sinken. Ob dieser Verlust mit weiteren Rationalisierungen wettzumachen ist, ist eher fraglich. Den entsprechenden Branchen würde ich heute raten, neue Kernkompetenzen zu erarbeiten und sich völlig neu auszurichten. Die Zukunft liegt vorne, der Blick zurück dient der Nostalgie.

Damit ist dem Innovationsdruck das Wort geredet. Der Bedarf der Medienhäuser und der Druckunternehmen an unternehmerischer Kreativität wird steigen. Gefragt sind wieder kreative und risikofreudige Menschen, denen etwas einfällt, die rechnen können und die eben nicht geschlafen haben, als die Erbsenzähler Erbsen zählten.

Kreative gibt es da draussen viele. Sie haben sich schon lange aufgemacht, sich dank dem Internet zu finden und sich zu organisieren. Das werden wir bald zu sehen bekommen. Diese neuen Quellen gilt es anzuzapfen und vor den im Sumpf steckenden Wagen zu spannen. Sie werden das möglicherweise nicht mehr im Lohnverhältnis tun, sondern im Rahmen gezielter und in Opensource getriebener Weise. Das wäre dann der Beginn des Social Marketing Prozesses, den es erst noch zu definieren und in allgemein anerkannter Form zu etablieren gilt.

Es ist zu bedenken und einzusehen, dass H-P. Rohners Aussage die Realität nicht trifft. Denn wer hat schon jemals ein Inserat oder einen Videospot von „Facebook“ in einem Schweizer Medium gesehen? Trotzdem tummelt sich ein Siebtel, mehr als eine Million SchweizerInnen, auf „Facebook“. Verabredet sich, organisiert Demos und startet Initiativen. Weder offizielle Websites wie admin.ch oder parlament.ch noch ein Schweizer Medium kann sich rühmen, eine solche Community hegen und pflegen zu können. Das ist in Rechnung zu stellen.

*Die börsenkotierte PoubliGroup/Publicitas erzielt als Medienunternehmen den grössten Umsatz im Vergleich zu den anderen Medienhäusern in der Schweiz. Die einst als „Bank der Verleger“ betitelte Werbevermittlerin steckt in einem gigantischen Umbau und beklagt einen tief greifenden Vertrauensverlust. Sie ist weltweit tätig und verfolgt eine Allmedia-Strategie.

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